Magdeburger Größenwahn, Schalalalala


Jede gute Geschichte hat auch eine Vorgeschichte. Die Vorgeschichte dieser Geschichte hier beginnt am 14. Mai 2008. An diesem Tag feierten nicht nur der Staat Israel und der Wirt unseres Vertrauens ihren 60. Geburtstag, es war auch das erste FSA-Landespokalfinale, das spätere Spreefeuerer gemeinsam besuchten. Für den Verfasser dieser Zeilen war es gar das erste Spiel "wir gegen die" überhaupt. Der damals drittklassige 1. FC Magdeburg musste gegen den Oberligisten HFC torlos in die Verlängerung und letztendlich auch ins Elfmeterschießen. Wie diese Geschichte ausging, ist bekannt. Wer es vergessen hat, bereut spätestens nach der Antwort, überhaupt gefragt zu haben.

Schnitt. 2014. Wieder ein 14. Mai. Wieder ein Landespokalfinale gegen "die". Und wieder ist es für eines unserer Fanclubmitglieder eine Derby-Premiere. In der Zwischenzeit haben sich die Ligazugehörigkeiten der Protagonisten irgenwie verdreht und der Wirt des Vertrauens hat seine Kneipe geschlossen. Insgesamt keine schöne Zeit, wenn man mal ganz ehrlich ist. Aber es lässt sich auch nicht leugnen, dass gerade in den letzten beiden Jahren beim FCM wieder ein zartes Pflänzchen der Hoffnung keimt. Und so fährt man zwar nicht siegesgewiss, aber doch nicht frei vom Glauben an ein kleines Fußballwunder nach Halle. Die verbotene Stadt am stinkenden Fluß, wo man sich eine kleine Stadionnachbildung in die Überreste des altehrwürdigen Kurt-Wabbel-Stadions gebastelt hat. Irgendwelche geheimen Knebelverträge mit dem FSA verlangen, dass hier auch mal ein Pokalfinale gespielt werden muss, damit die Stadt Dessau gar nicht erst in die Verlegenheit kommt, gefragt zu werden und verängstigt ablehnen zu müssen.

Also auf nach Halle. Gar keine so leichte Übung an einem Mittwoch, wenn Teile der Reisegruppe zur werktätigen Bevölkerung gehören und man auch noch am selben Tag wieder die Heimreise antreten möchte. Vorschläge wie ein Heimflug via Leipzig und Mallorca werden nur halbherzig verfolgt, am Ende einigt man sich dann doch auf's gute alte Kraftfahrzeug. Gestellt und pilotiert wird dieses von Michel, der hierfür nicht lange gebeten werden muss. Abfahrt drei Stunden vor Anpfiff in Potsdam - sportliche Vorgabe, aber machbar. Mit nur einem Zwischenstop wird dann die Vize-Landeshauprstadt Sachsen-Anhalts erreicht, in deren Berufs- und Pokalfinaleanreiseverkehr gefühlt genauso viel Zeit verbracht wird wie auf der Autobahn. Vierzig Minuten vor Anpfiff rollen wir auf den Gästeparkplatz, was locker reichen würde, wenn denn einer der angekündigten Shuttlebusse kommen würde. Er kommt aber nicht, wird im Stau stehen. Der kurzerhand angesetzte Derbymarsch von ca. 50 Mitwartenden sorgt für einige Unruhe bei den anwesenden Sicherheitskräften - allerdings geht so eine Wanderung auch mit Blaulicht nicht schneller und so stehen wir pünktlich um 18:30 Uhr in einem Regenschauer vor dem Stadion, an dessen Einlässen sich noch immer die Menschenmassen drängen.

Den um wenige Minuten verzögerten Anpfiff erleben wir an der mehr als flüchtigen Einlasskontrolle. Die auf den Karten aufgedrucken Platzangaben sind jetzt wegen akuter Blockverstopfung hinfällig; ein Standort für die vier Spreefeuerer findet sich etwas weiter links als geplant. Zufrieden wird registiert, in den ersten drei Spielminuten offenbar nicht allzu viel verpasst zu haben und auch der von den ortsansässigen Fußballfreunden zur Begrüßung in den Vorabend geblasene Nebel verzieht sich langsam. So kann betrachtet werden, was zwar zu erwarten war, aber den Clubfan in der Regel dennoch nicht erfreut: Der nicht zu leugnende Klassenunterschied wird in dieser ersten Halbzeit sichtbar und besonders einem Matthias Tischer in Weltklasseform ist es zu verdanken, dass der Drops nach dieser ersten Halbzeit nicht bereits gelutscht ist. Mit mehreren Großtaten verhindert er die Führung der falschen Mannschaft. Kurz vor dem Pausenpfiff wird auf der Gegenseite ein Banner entrollt, dessen Aufschrift den Hausherren an diesem Abend noch auf die Füße fallen würde. Dass sie das zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen können, macht die ganze Geschichte noch schöner.

Die Halbzeitpause wird genutzt, um diverse nette Menschen zu begrüßen, die man angesichts der Umstände vor dem Spiel noch nicht gesehen hatte, auf den Erwerb wirkungsbefreiter Bierimitate wird mehrheitlich verzichtet. Und dann geht es auch schon weiter, nachdem auch Block U seine Kompetenz im Umgang mit pyrotechnischer Stimmungsverstärkung unter Beweis gestellt hat. Im weiteren Spielverlauf werden die blau-weißen Recken immer mutiger und frecher, während dem Drittligisten deutlich die Verunsicherung darüber anzumerken ist, dass man noch nicht in Führung liegt. Schon die Köpersprache der Spieler macht klar, welche Mannschaft hier heute wirklich gewinnen will. So kommt es dann, dass plötzlich Christian Beck im Strafraum zu Boden geht und der Schiri auf den Punkt zeigt. Ein wahres Wechselbad der Gefühle ist diese 73. Minute, in der sich Nico Hammann den Ball zurechtlegt und wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben einen Elfmeter verschießt. Nur kurz verstummt der sonst stimmgewaltige und überaus ansehnliche Support des Magdeburger Anhangs. Vorwärts, Magdeburger Jungs - in so einem Finale hat man ja gegebenenfalls auch noch eine halbe Stunde mehr Zeit, um das entscheidende Tor zu erzielen.

Und so kommt es dann auch. Torlos endet die reguläre Spielzeit und Schiedsrichter Kluge - der seine Sache ganz ordentlich machte - bittet zur Verlängerung. Nur sechs Minuten nach Wiederanpfiff ist es Marius Sowislo, der nach einer Ecke die Clubfans erlöst. Plötzlich steht es 1:0. Gegen "die". In Halle. Grenzenloser Jubel erfüllt die komplete Hintertortribüne. Menschen stolpern übereinander, schreien vor Glück, liegen sich in den Armen; manche von ihnen werden noch einige Zeit von blauen Flecken an diesen Moment erinnert werden. Wenn der HFC das hier noch gewinnen will, muss er ein Tor schießen. Den sich öffnenden Raum nutzt Lars Fuchs, der eben noch im Abseits gestanden haben soll, nun aber sehenswert zum 2:0 einnetzt. Die folgenden Szenen ähneln denen nach dem 1:0, ein erstes Mal wird "Oh wie ist das schön" angestimmt.

Weniger schön ist, was sich nun bei den Fans der Saalestädter abspielt. Feuerwerk fliegt auf den Rasen, die eigenen Spieler und Zuschauer. Eine gute Viertelstunde dauert das Schauspiel, bis sich die Gemüter beruhigt haben und auch die letzten paar Minuten des Spiels über die Bühne gebracht werden können. Der von Rene Lange direkt verwandelte Freistoß zum 3:0 bildet dann den Schlusspunkt der Partie. Der Rest ist Jubel und ein eindrucksvoller Beweis für den offenbar nicht ganz unberechtigten Magdeburger Größenwahn. Während der größte Teil des Stadions sich jetzt schnell leert, beginnt vor dem Magdeburger Block jetzt die Party.

Der Heimweg gestaltet sich reibungslos - selbst ein Shuttlebus zum Parkplatz lässt sich nun sehen. Nach der obligatorischen Bierdusche für den Präsidenten geht es dann zurück in die Heimat. Beim Verpflegungstop an der Autobahnraststätte trifft man noch auf Jenenser, die nach ihrem Pokalfinale gegen Erfurt auch keinen unzufriedenen Eindruck machen - Derbysieger unter sich. Eigentlich wäre die Geschichte an dieser Stelle vorbei - allein das Dauergrinsen wird noch einige Tage bleiben.

Ralle » Zur Fotoseite


[Startseite]