"Pappel und Papa - Ein Ausflug nach Hannover"


Sonnabend, der 21. Mai 2010, kurz nach halb sieben. Nach einer ziemlich kurzen Nacht stehe ich am heimatlichen Provinzbahnhof. Einmal mehr stelle ich mir die Frage, warum um alles in der Welt man sich Wochenende für Wochenende noch vor dem Morgengrauen aus den Federn schält, um anschließend in die unmöglichsten Ecken der Republik zu reisen, wo man dann nah am Herzkasper die Spiele eines von kaum mehr als seiner Tradition zehrenden Viertligisten verfolgt. Die Ansage eines verspäteten Zuges reisst mich aus meinen Gedanken, und der Blick auf's hochmoderne Schlauphone (wie haben die Menschen nur vor fünf Jahren ihren Alltag bewältigen können?) verrät, dass dieser Zug nicht der einzige sein würde, der heute früh unter irgendwelchen kabelklauenden Vandalen zu leiden haben würde - die von mir eingeplante Bahn fällt zweckmäßigerweise gleich ganz aus. Große Klasse, hätte mir das jemand vor ner Stunde gesagt, hätte ich mich gepflegt noch einmal umgedreht und wäre gleich mit dem Auto zum Spreefeuer-Sammelpunkt nach Potsdam gefahren. Sei's drum. Adieu, Bahnhof - Hallo, Landstraße.

Die Zeit in Potsdam wird genutzt, um ein kleines Frühstück einzunehmen und die nach und nach eintrudelnden Mitreisenden zu begrüßen. Wir sind zwar nicht die einzigen blau-weißen am Bahnhof, doch die anderen dort herumlungernden Grüppchen gehören ganz eindeutig nicht zu uns, sondern sind Vorboten des am selben Abend stattfindenden DFB-Pokalfinales. Auch einzelne Herthaner, die sich vor lauter Freude über den in der Vorwoche gefeierten Aufstieg seitdem nicht mehr umgezogen haben, werden gesichtet. Bevor wir uns hiermit auseinandersetzen können und wollen, wird die Marschverpflegung organisiert und auf unseren Fahrer gewartet. Dieser erscheint wenig später pünktlich wie die Eisenbahn (gut, am heutigen Tage mag der Vergleich hinken) inklusive seines schlesisch-koreanischen Reisemobils. Kurze Begrüßung, noch kürzere Lagebesprechung, Abfahrt. Hannover, wir kommen!

Dank unseres sehr disziplinierten Präsidenten wird die erste Rast erst hinter Magdeburg eingelegt. Während der Fahrt wird diskutiert, wie der Stadionbesuch und das im Vorfeld vorgesehene Altra-Zusammentreffen im ortsansässigen "Brauhaus Ernst August" am besten zu koordinieren wären. Wir kommen gut voran und beschließen, direkt zum Stadion zu fahren, wo das Auto abgestellt wird. Auch hierbei ist wieder die moderne Technik behilflich; den Weg zur Straßenbahn, die sich hier "Stadtbahn" schimpft und mit weißem U auf blauem Grund prahlt, finden wir allerdings selbst. Auch das Brauhaus als solches ist auch ohne die Mithilfe der partout nicht erreichbaren Organisatoren vom Acker schnell lokalisiert - Schlauphone olé! Am Eingang wird uns die Gastwirtschaft noch von einem kundigen Eingeborenen mit den Worten "Hier müsst'er reingehen - Hier schmeckt das Bier!" wärmstens empfohlen. Er sollte Recht behalten.

Neben einem gemütlich-rustikalen Ambiente finden wir im Brauhaus eine vielköpfige und -stimmige Meute von Altras und Altrinen vor, die - wer wollte es ihnen verdenken - den Umtrunk schon ohne uns gestartet hat. Die vierköpfige Spreefeuer-Delegation nimmt sogleich einen Tisch in Beschlag, bestellt den Coach der SG Ackerwellenfeuer zum Fachgespräch hinzu und ordert sogleich auch für sich Speis und Trank, auf dass die Unterhaltung schnell auf Augenhöhe stattfinden kann. Etwa eine Stunde später bricht die Reisegruppe satt und zufrieden auf, um sich dem eigentlichen Ziel des Ausfluges zu widmen: Heut is ja auch Fußball.

Noch einmal kurz zur Vorgeschichte: Drei Wochen zuvor wurde das Spiel gegen den direkten Konkurrenten TSV Havelse zu Hause verloren und somit versäumt, im Abstiegskampf den Sack zuzumachen. Auch die folgenden Siege gegen Türkiyemspor und Braunschweig konnten den Abstand von drei mageren Punkten nicht vergrößern, da auch die Konkurrenz mitpunktete. So sollte es zum Showdown im Großraum Hannover kommen, denn zeitgleich mit dem Spiel des 1. FC Magdeburg traten die Vorstädter nur wenige Kilometer entfernt gegen Oberneuland an, nur auf einen Ausrutscher lauernd. Wollte man sich also nicht allein auf das Versprechen von "Papa" Sandhowe verlassen, wonach der Club eh nicht absteigen würde, war ein Sieg Pflicht.

Anpfiff also im ehemaligen Niedersachsenstadion, in das sich doch gut und gerne 1200 Magdeburger verirrt hatten. Noch bevor die Plätze richtig eingenommen und die Aufstellung kommentiert ist, geschieht Unglaubliches: Durch einen mächtigen Rückgabe-Klops eines Hannoveraners geht der Club mit 1:0 in Führung, was regelrechte Jubeltumulte nach sich zieht. Eine Wohltat für die in der Vorwoche arg strapazierten Herzen der Mitgereisten. Noch vor der Halbzeit beweist unser Frauenbeauftragter sein analytisches und wahrsagerisches Talent: Vehement fordert und begründet er die Einwechslung Georgis als Konterstürmer und auf wundersame Weise wird ihm dieser Wunsch keine fünf Minuten später erfüllt. Pappel und Papa - Brüder im Geiste? Wie richtig dieser Wechsel war, zeigt sich, als eben jener Maik Georgi mit dem Kopf das 2:0 verursacht. Erneuter Jubel, während die Kunde von der Havelser Führung durch den gut gefüllten Block dringt. Das 3:0 schlussendlich erlebe ich im Klo-Container - ein Moment doppelter Erleichterung.

Was dann folgt, ist die Erkenntnis, dass ein Vorsprung von drei Punkten und neun Toren vor dem letzten Spieltag eigentlich reichen müsste, um diese Graupensaison mit einem blauen Auge zu überstehen. Entsprechend groß sind Erleichterung und Freude bei Fans und Mannschaft, was zu länger andauernden Feieraktivitäten im Hannoveraner Stadion führt. Man kann mit Händen greifen, welche Last von allen Beteiligten abgefallen ist.

Irgendwann ist es allerdings auch für uns an der Zeit, die Heimreise anzutreten. Diese wird zunächst mit den heute wiederholt zum Einsatz gebrachten modernen Kommunikationsmitteln geplant, welche uns die Botschaft von einer chronischen Verstopfung auf der A2 übermitteln. Ganz altmodisch wird die Umfahrung mit dem analogen Blätter-Navi organisiert und jedes Quengeln der modernen Variante ignoriert. So finden wir uns dann auch zügig wieder am Startpunkt der Reise ein, wo sich die Wege der Beteiligten trennen. Um kurz nach acht sitze ich dann wieder vor dem heimischen Fernseher, wo ich mir das DFB-Pokalfinale ansehe und zur Erkenntnis gelange, dass das alles schon irgendeinen Sinn hat.

Ralle

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